Europa braucht keinen Aktionismus – sondern strategische Klarheit
Einen Tag nach der spektakulären Drohnenattacke der Ukraine auf vier strategisch wichtige Luftwaffenstützpunkte in Russland lohnt sich ein Blick zurück auf das Panel „Die Verteidigung Europas: Zwischen Schlagkraft und Reformstau“ beim Unternehmertag im März.
Wie real ist die Gefahr eines russischen Angriffs auf Europa – und wie gut ist der Kontinent darauf vorbereitet?
Trotz der schweren Verluste an militärischem Material, die die Ukrainer dem russischen Aggressor zugefügt haben, ist die Gefahr einer weiteren Aufrüstung und Eskalation keineswegs gebannt.
Denn die Pläne, auch ein NATO-Land anzugreifen, liegen längst in Putins Schublade.
Beim Unternehmertag diskutierten Dr. Hans Christoph Atzpodien (BDSV), Dr. Vitali Shkliarov (Destinus), Jürgen Ehle (ehem. Konteradmiral), Prof. Dr. Carlo Masala (UniBw München) und Moderator Paul Ronzheimer (BILD) über die sicherheitspolitische Lage.
• Russland rüstet auf – strategisch, strukturell, mit Blick auf die NATO
Panzer und Raketen werden nicht nur für den aktuellen Krieg produziert, sondern für mögliche künftige Konflikte mit dem Westen. Die russische Armee wird auf 1,5 Millionen Mann ausgebaut, neue Militärbezirke zeigen klar Richtung Europa. Währenddessen fehlt es in der EU an strategischer Koordination, gemeinsamer Beschaffung und Durchsetzungskraft.
• Das Zeitfenster für Europa ist eng
Die nächsten 3–4 Jahre entscheiden, ob Europa seine verteidigungspolitische Lücke schließen kann. Die Ukraine verschafft dem Kontinent Zeit – doch diese wird derzeit nicht konsequent genutzt. Fehlende Reformen, komplexe Verfahren und haushalterische Zurückhaltung bremsen den dringend nötigen Aufbruch.
• Militärische Stärke entsteht nicht nur durch Budget, sondern durch Effizienz
Obwohl die EU-Staaten mehr Geld für Verteidigung ausgeben als Russland, werden enorme Summen durch Doppelstrukturen und nationale Egoismen verschwendet. Während Russland standardisiert und zielgerichtet vorgeht, verliert Europa sich im Fragment.
• Die Zukunft der Verteidigung ist hybrid und technologisch
Die Rolle unbemannter Systeme, KI und kostengünstiger Drohnen wächst rasant – klassische Waffensysteme müssen durch moderne Technologien ergänzt werden. Europa hat die industrielle Fähigkeit, mitzuhalten – was fehlt, ist politische Entschlossenheit und ein flexibler Rechtsrahmen.
• Die zentrale Herausforderung:
Die europäische Sicherheitsordnung steht unter Druck. Ein russischer Test des NATO-Zusammenhalts – etwa durch einen begrenzten Vorstoß in ein Mitgliedsland – könnte fatale Folgen haben. Europa muss deshalb glaubhaft abschrecken – nicht nur mit Worten, sondern mit Handlungsfähigkeit.
• Was jetzt nötig ist:
– Ein Ende der Mangelverwaltung bei der Bundeswehr
– Schnelle, unbürokratische Beschaffungsverfahren
– Europäische Koordination statt nationaler Alleingänge
– Einsatz neuer Technologien wie Drohnen, KI und unbemannter Systeme
– Und vor allem: die Rückkehr zu einer realistischen Bedrohungsanalyse
• Fazit:
Was lange als undenkbar galt, ist heute realistisch. Die Vorbereitungen auf Worst-Case-Szenarien laufen – zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Entscheidend ist jetzt, ob Europa den politischen Willen aufbringt, diese Realität anzuerkennen und entschlossen zu handeln.
Europa braucht keinen Aktionismus – sondern strategische Klarheit, politische Entschlossenheit und industrielle Schlagkraft.